John Barclay, Paulus und die Gabe und die lästigen rechtschaffenden Nichtjuden

15.10. 2023 | Original von Andrew Perriman

Endlich bin ich dazu gekommen, John Barclays hochgeschätztes Buch Paul and the Gift (Paulus und die Gabe) zu lesen, und er hat mich fast dazu gebracht, meine Meinung über die Identität der Heiden zu ändern, die das Gesetz nicht haben, aber tun, was das Gesetz verlangt (Röm. 2, 14).

Ich habe in den letzten Tagen hin und her überlegt, und das nicht zum ersten Mal, ob es sich um gewöhnliche, brave Heiden handelt oder um Heiden, die sich zum Glauben an Jesus bekehrt haben. Diese groben Kommentare zu den entsprechenden Passagen enthalten meine Gründe dafür, dass ich am Ende eher vorwärts als rückwärts gehe.

Der Tag des Zorns Gottes

Römer 1, 18-32 ist eine glatte Anklage gegen die griechische Welt. Daraus ergibt sich der eschatologische Horizont der Argumentation des Paulus im Brief, der meines Erachtens die entscheidende Auslegungsvoraussetzung für das Verständnis des Briefes ist. Alles erklärt sich aus der Tatsache, dass ein Tag des Zorns Gottes gegen den klassischen Paganismus und der Beginn eines neuen Zeitalters des rechten Lebens nun von den Aposteln vorausgesehen und verkündet wird.

Doch was Paulus, der von Korinth aus schreibt, in diesem ersten Abschnitt unmittelbarer antreibt, ist sein hitziger „Dialog mit den Juden“ in der Diaspora. Er wendet sich also an den Juden, der über seine griechischen Nachbarn urteilt, aber in Wirklichkeit dasselbe tut. Ein solcher Mensch sammelt für sich selbst Zorn an „für den Tag, an dem Gottes gerechtes Gericht offenbart wird“ (2, 5).

Paulus weiß, dass die Juden in den Synagogen gegen ihre Einbeziehung in diese Erzählung vom göttlichen Gericht Einspruch erheben werden, und deshalb gibt er seine Gründe für die Warnung an sie an, dass sie nicht das Geschenk an die Menschheit sind, für das sie sich halten.

Einerseits haben sie, obwohl sie im Besitz des Gesetzes sind, den Namen JHWHs durch ihr schändliches Verhalten unter den Völkern in Verruf gebracht (2,23-24). Ein gutes Beispiel dafür ist der Fulvia-Betrug, der zur Vertreibung der Juden aus Rom in der Regierungszeit des Tiberius führte.

Andererseits werden die Heiden, die das Gesetz des Mose nicht haben, am Tag des Zorns Gottes als gerecht handelnd und gerechtfertigt befunden werden. Handelt es sich dabei um gewöhnliche Heiden, wie es auf den ersten Blick scheinen mag? Oder hat Barclay Recht, wenn er sagt, dass alles, was Paulus in Römer 2-3 sagt, „die gute Nachricht voraussetzt, die er bereits umrissen hat“ (466)?

Ein Urteil nach den Werken

Unter Juden und Griechen werden einige nach Ruhm, Ehre, Frieden und Unsterblichkeit streben und mit dem Leben des kommenden Zeitalters belohnt werden. Dies ist ein Gericht und eine Rechtfertigung nach den Werken (2, 7, 13). Der Gedanke könnte implizit der sein, dass nur diejenigen, deren Herzen durch den Geist Gottes erneuert worden sind, in der Lage sind, die gerechten Anforderungen des Gesetzes zu erfüllen. Aber dann müssen wir zwischen einer anfänglichen Errettung durch den Glauben und einer endgültigen Rechtfertigung der Gläubigen nach den Werken am Tag des Zorns Gottes unterscheiden. Ist das kohärent?

Heiden | von Natur aus | tun, was das Gesetz verlangt

Paulus bezieht sich zweimal auf die „Natur“, wenn er sagt, dass die Heiden tun, was das Gesetz verlangt. Es stellt sich die Frage, ob „von Natur aus“ die Heiden qualifiziert, die das Gesetz nicht haben, oder die Handlungen, mit denen sie das Gesetz erfüllen. Meint Paulus in Römer 2, 14, dass die Heiden das Gesetz „von Natur aus“ (physei) nicht haben oder dass sie „von Natur aus“ die Dinge des Gesetzes tun? Der Satz kann so oder so gelesen werden:

„die Heiden, die das Gesetz nicht haben, tun von Natur aus die Dinge des Gesetzes…“ (2:14*)

Wenn sie von Natur aus Heiden ohne das Gesetz sind, bleibt die Möglichkeit offen, dass sie die Dinge des Gesetzes durch den Geist tun. Wenn sie von Natur aus tun, was das Gesetz verlangt, dann wird ihre Gerechtigkeit einer angeborenen moralischen Fähigkeit zugeschrieben, nicht dem Geist.

Der zweite Hinweis kommt in der Formulierung „die von Natur aus Unbeschnittenen, die das Gesetz erfüllen…“ (2, 27), aber in diesem Fall geht „von Natur aus“ eindeutig mit „Unbeschnittenheit“ einher: „die Unbeschnittenheit von Natur aus“ (hē ek physeōs akrobystia). Umgekehrt sagt Paulus in Galater 2, 15: „Wir sind von Natur aus (physei) Juden und nicht Sünder aus den Heiden.“ Die Unterscheidung zwischen Juden und Heiden ist in gewissem Sinne eine „natürliche“ Unterscheidung.

Diese beiden Texte könnten als Beweis dafür gelten, dass „von Natur aus“ eher den vorangehenden Hinweis auf die Heiden in Römer 2,14 qualifiziert, wie John Barclay argumentiert:

Es gibt gute Gründe, φύσει (2, 14) mit dem vorangehenden Satz („Heiden, die das Gesetz nicht von Geburt an haben“) und nicht mit dem nachfolgenden Satz („sie tun die Dinge des Gesetzes“) zu kombinieren: Dies ist eine natürliche Wortfolge, und der Sinn stimmt mit den Aussagen des Paulus an anderer Stelle überein, die auf den jüdischen Unterschied φύσει (Gal 2, 15) oder auf den heidnischen Unterschied ἐκ φύσεως (Röm 2, 27) hinweisen. (Barclay, Paul and the Gift, 467)
Andererseits kann man sich fragen, warum der Ausdruck physis in Römer 2, 14 nicht in den Subjektsatz integriert ist wie in 2, 27 und Galater 2, 15. So Richard Longenecker: „Wenn Paulus φύσει adjektivisch gemeint hätte, hätte er es besser in die Partizipialphrase τὰ μὴ νόμον ἔχοντα (wohl am besten zwischen νόμον und ἔχοντα) gestellt“ (Der Brief an die Römer, 274).

Sechs von dem einen und ein halbes Dutzend von dem anderen, schätze ich. 🙂

Das Werk des Gesetzes auf ihre Herzen geschrieben

Paulus sagt, dass diese gerechten Heiden „das Werk des Gesetzes in (en) ihren Herzen geschrieben haben“ (2, 15). Dies wird oft als eine Anspielung auf das Thema des Neuen Bundes verstanden: „Ich will meine Gesetze in ihren Sinn geben und will sie auf (epi) ihr Herz schreiben“ (Jer. 38, 33 LXX).
Dies ist die Behauptung von Barclay:

  • In Anbetracht dessen, was Paulus zuvor über die Vergeblichkeit des menschlichen Denkens (1, 21. 28), die Verfinsterung der sinnlosen Herzen (1, 21) und die sündigen Leidenschaften der menschlichen Herzen (1, 24) gesagt hat, ist diese Einschreibung des Gesetzes in die Herzen der Heiden kein natürliches Phänomen, keine Ausnahme, die sich irgendwie der paulinischen Analyse der Sünde entzieht. In der Tat ist das Echo von Jeremia 31 (LXX 38), 33 — ein Text, der Paulus stark beeinflusst hat — laut und deutlich. Die Einschreibung eines moralischen Bewusstseins in stumpfe Herzen kann nur das verwandelnde Werk Gottes sein…. (Barclay, Paulus und die Gabe, 467)


Diese Deutung scheint mir aber unwahrscheinlich: Es ist ausgeschlossen, wenn wir die Ansicht vertreten, dass „von Natur aus“ an „die Dinge des Gesetzes tun“ gebunden ist; die Formulierung „in ihre Herzen geschrieben“ entspricht dem vorangehenden „sich selbst ein Gesetz sein“, das einen „natürlichen“ Anschein hat; und der anschließende Verweis auf das Gewissen und die Gedanken, die diese rechtschaffenden Heiden anklagen oder verteidigen, deutet für mich stark darauf hin, dass Paulus hier durchgängig eine angeborene moralische Fähigkeit im Sinn hat.
Es ist auch wichtig zu beachten, dass er nicht von dem Gesetz spricht, das aktiv und direkt auf (epi) ihre Herzen geschrieben ist, wie bei Jeremia, sondern von dem „Werk des Gesetzes, das in (en) ihre Herzen geschrieben ist“. Der Satz lautet wie folgt:
Sie machen das Werk des Gesetzes sichtbar, das in ihre Herzen geschrieben ist… (Röm. 2, 15)
οἵτινες ἐνδείκνυνται τὸ ἔργον τοῦ νόμου γραπτὸν ἐν ταῖς καρδίαις αὐτῶν… (griechisch)
hoitines endeiknyntai to ergon tou nomou grapton en tais kardiais autōn… (Umlaut griechisch)

Es sind einige Punkte der Exegese zu beachten.

  • Das Wort für „geschrieben“ (grapton) ist kein Verb, sondern ein Adjektiv, es gibt also keinen besonderen Gedanken daran, dass etwas geschrieben wurde, wie im Motiv des Neuen Bundes; das Werk des Gesetzes ist angeboren.
  • Bei Jeremia ist das Gesetz „auf“ (epi) ihre Herzen geschrieben, als ob das Herz eine Oberfläche wäre, auf die man schreiben könnte (vgl. hebräisch ʿal); bei Paulus ist es „in (en) ihre Herzen geschrieben“, was vielleicht auf einen natürlichen Zustand des Herzens hinweist, der noch vor einem verwandelnden Akt der Einschreibung durch den Geist liegt.
  • Ich denke, es ist bezeichnend, dass nicht das Gesetz, sondern das „Werk des Gesetzes“ in die Herzen dieser Heiden geschrieben ist: Sie kennen das Gesetz nicht, ob es nun in der Thora oder auf der Oberfläche ihrer Herzen geschrieben steht, aber sie kennen in ihren Herzen die Art von guten Werken, die das Gesetz verlangt.
  • Im jüdischen Denken kann das Gesetz im Herzen eines Menschen sein, ohne dass es eschatologisch durch den Geist geschrieben wurde: „Das Gesetz seines Gottes ist in seinem Herzen, und seine Schritte werden nicht wanken“ (Ps 36, 31); „Höre mich, du, der du das Recht kennst, mein Volk, du, in dessen Herzen mein Gesetz ist“ (Jes 51, 7). Es ist also kein Problem, wenn Paulus einen analogen Ausdruck für Heiden verwendet, die den Geist nicht empfangen haben.
  • Im zweiten Teil des Satzes fehlt das „ist“: Die Aussage lautet nicht, dass sie „zeigen, dass das Werk des Gesetzes in ihren Herzen geschrieben ist“ (ESV), sondern dass „sie das Werk des Gesetzes sichtbar machen, das in ihre Herzen geschrieben ist“ – die Betonung liegt auf der konkreten und beobachtbaren Realität des Werkes.
  • Das „Gesetz“, dessen Werk in ihre Herzen geschrieben ist, ist wohl nicht die Tora, sondern das „Gesetz“, das sie für sich selbst sind, aber da das Gesetz, das sie für sich selbst sind, mit der Tora gleichzusetzen ist, ist der Unterschied für die Auslegung gering. Um es also zu paraphrasieren (wobei die Funktion von „von Natur aus“ ungeklärt|unendschieden bleibt):
    Denn wenn die Heiden, die die Tora nicht von Natur aus haben, die Dinge der Tora tun, so sind die, die die Tora nicht haben, sich selbst ein Gesetz, wie die (hoitines), die das Werk dieses angeborenen Gesetzes in der Praxis vorführen — im Gegensatz zu den Juden, die das geschriebene Gesetz des Mose haben, es aber nicht in die Praxis umsetzen. (Röm. 2, 14-15)

Der Jude, der über Griechen urteilt, wird von Griechen verurteilt werden

Kapitel 2 endet mit einer Reihe von Umkehrungen: Die Beschneidung wird zur Unbeschnittenheit, die Unbeschnittenheit wird als Beschneidung gewertet; das wahre Judentum besteht in einer unsichtbaren und nicht in einer sichtbaren Beschneidung. In diesem Fall kann die Aussage, dass der unbeschnittene Heide, der das Gesetz erfüllt, den beschnittenen Juden, der das „geschriebene Gesetz“ (grammatos) hat, aber das Gesetz übertritt, „richten“ wird, uns zum Anfang der Argumentation und der Warnung zurückführen, die sich an den heuchlerischen Juden richtet, der den ungerechten Griechen richtet (2, 1). Die gegebene und „natürliche“ soziale Polarisierung von Griechen und Juden bildet den Rahmen für die Hetzrede in diesem Kapitel.

Was macht dann den Juden anders?

Die Fragen des Paulus „Was unterscheidet dann den Juden? Oder was ist der Sinn der Beschneidung?“ (3, 1) machen nur dann Sinn, wenn der Gegensatz zu der heidnischen – oder genauer gesagt griechischen(!) – Welt besteht, die den Hintergrund für die gesamte Auseinandersetzung mit den Juden bildet, die er in diesem Abschnitt dargelegt hat. Er kann hier gerade eben nicht fragen, was den beschnittenen Juden von dem griechischen Gläubigen an Jesus, der mit dem Geist erfüllt wurde, unterscheidet oder ihm überlegen ist.

Was ist mit Kornelius?

Barclay argumentiert, dass Paulus nicht zu dem Schluss hätte kommen können, dass einige Nichtjuden die Anforderungen der Tora erfüllen, wenn er es nicht mit eigenen Augen in den Gemeinden gesehen hätte:

Es ist unmöglich, sich vorzustellen, dass ein Jude diese starke Behauptung über die Gesetzestreue der Heiden aufstellte und damit das jüdische Privileg relativierte, es sei denn, er erlebte wie Paulus regelmäßig die Verwandlung des Lebens der Heiden und deutete dieses Phänomen als das wunderbare Wirken des Geistes. (468)
Zugegeben, es gibt nicht viele Beispiele für rechtschaffene Heiden im Neuen Testament. Der einzige, der mir in den Sinn kommt, ist Kornelius, aber er wird nicht als eine Ausgeburt unerlöster Natur dargestellt. Er ist ein frommer und gerechter (dikaios) Mann, der Gott fürchtet, Almosen gibt und dessen Gebete erhört werden (Apg 10, 1-2. 4. 22). Sein Problem — oder Petrus‘ Problem — war nicht, dass er ein Sünder war, sondern dass er unrein war. Auch Paulus muss in den Synagogen auf solche Menschen gestoßen sein, die die Juden beschämten.

Warum brauchen wir dann die Rechtfertigung durch den Glauben?

Letztlich bleibe ich also bei der Auffassung, dass diese gerechten Heiden eben keine Juden sind, deren Frömmigkeit und Gerechtigkeit von einem unparteiischen Gott am Tag seines Zorns anerkannt würde, die also aufgrund ihrer guten Werke Anteil am kommenden Zeitalter hätten.

Aber wenn einige Juden und Griechen aufgrund ihrer Werke gerechtfertigt würden, wozu brauchte man dann Jesus? Wozu das ganze Argument der Rechtfertigung durch den Glauben?

Kurz gesagt, ich denke, wir müssen den ganzen Ablauf verstehen.

Gott hatte die Absicht, eine Zivilisation zu richten, die im Großen und Ganzen den Schöpfer abgelehnt, Götzen angebetet und sich der sexuellen und sozialen Verderbtheit hingegeben hatte. Die Juden in den Synagogen hatten es im Großen und Ganzen versäumt, ein Licht für die Heiden zu sein, und sollten vor den Griechen gerichtet werden. Es gab jedoch auf beiden Seiten Ausnahmen, und diese Juden und Heiden würden am Tag des Zorns Gottes über diese Welt gerechtfertigt werden.

Das Gericht würde jedoch bedeuten, dass nicht nur die heidnische griechische Welt, sondern auch das ungerechte Judentum hinweggefegt werden würde, so dass sich nun das grundsätzlichere biblische Problem der Zukunft der Familie Abrahams stellt. Wie würde sich JHWH als gerecht erweisen und die den Patriarchen gegebenen Verheißungen erfüllen? Er würde dies „unabhängig vom Gesetz“ tun (Röm. 3, 21).

Es war nicht die Krise, mit der die griechische Welt konfrontiert war, die das Argument der Rechtfertigung durch den Glauben auslöste, sondern die sekundäre Krise, mit der Israel konfrontiert war, obwohl zu diesem Zeitpunkt auch deutlich geworden war, dass eine Reihe von Heiden in die Geschichte Israels hineingezogen wurde.

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