Eine ausführliche Rezension des "Entwurfes einer integralen Theologie" von Tilman Haberer
Intro: Gott - neu gedacht
Das Reden von Gott ist problematisch geworden, alte Gottesbilder tragen nicht mehr und viele Menschen wenden sich vom Christentum ab. Dem setzt dieses Buch Neues entgegen. Auf der Grundlage der integralen Theorie Ken Wilbers u.a. und des Buches »Gott 9.0. Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird« beschreibt Tilmann Haberer die zentralen Inhalte und Begriffe der christlichen Theologie - Gott, Christus, Mensch, Sünde, Erlösung, Auferstehung usw. -
so, dass sie auch den Menschen des 21. Jahrhunderts etwas zu sagen haben.
Für alle Leserinnen und Leser von "Gott 9.0"
Provokative Denkanstöße für einen theologischen Neuaufbruch
Eine glaubwürdige Theologie für das 21. Jahrhundert
Am Ende stehen 6 exemplarische Menschen, die ein gelb-Spirituelles Leben führen (in hoher Diversität der Ausgestaltung).
Kapitel 1: Theologie, ein unmögliches Geschäft - wie können wir überhaupt von Gott reden?
… allgemeine Einleitung in das Verständnis von Theologie. Nichts neues…
Hermeneutik der Bibel mit Hilfe des Quadrantenmodells (45-54)
Nachdem er die Bibelverständnisse der verschiedenen Bewusstseinsräume reflektiert, betont er dass die Postmoderne und gelbe Perspektive die Subjektivität als Maßstab für Wahrheit nimmt. Damit ist die Begründungslogik im ersten Quadranten zu Hause. Ergänzt, dass Austauschprozesse mit anderen Menschen intersubjektiv dazu führen, Wahrheit und Gewissheit zu stützen.
Der 3. Quadrant „Intersubjektivität“ trägt den Postmodernen „Erfahrungsglauben“ (alles hängt am subjektiven Glaubensakt), indem man sich intersubjektiv vergewissert.
Der 4. Quadrant „Interobjektivität“ lässt uns selbstkritisch bleiben. Alle Wahrheit bleibt relational (wir sagen: kontextuell) statt absolut. Damit fallen wir - nach Haberer - wieder auf die Begründungslogik „Glaube ist eine höchst subjektive Entscheidung“ zurück (vgl. Luthers „sola fide“ neben „sola scriptura“).
Unser hermeneutischer Ansatz:
Bis dahin gehen wir mit und steigern jedoch die Relativität deutlich prägnanter als Haberer, indem wir das Prinzip „Heterodoxität“ einführen.
Die historisch-kritische (modern/postmoderne) Perspektive überholen wir rechts mit der kontextuellen Lektüre von (spiral-)historischen Phasen der Menschheit, die je ihre Narrative entwickelt haben. Wir hören damit auf eine beige-blaue Phase der Narrativbildung. Dies lesen wir im Hinblick auf die Eschatologie radikal non-Dual: die Zukunft der Welt ist innerweltlich-politisch zu interpretieren - statt das übliche Gegenüber von Diesseits und Jenseits zu konstruieren.
Ich selbst würde die Betonung auf den 4. Quadranten als die plausible Begründungslogik für Bibel-Autorität setzen: Wenn wir die Bibel mit ihrem Wahrheitsanspruch konsequent in der Vergangenheit lassen, samt ihrer eschatologischen Rahmenstory, erzeugen wir über die wissenschaftlich objektivierbaren historischen Phasen der Erfüllung der prophetischen Ansagen (dokumentiert in der Kirchengeschichte) gewissermaßen die objektive Plausibilität für die prophetischen Erwartungen oder Ankündigungen im alten und neuen Testament (Jesus als innerweltlicher Apokalyptiker). Damit ist Perrimans Ansatz eine Fortsetzung der Albert Schweitzer-Schule seit 1904.
S. 56: Seht, seht: das 3 Farbenmodell der Gotteserkenntnis als Interreligiöses Denkmodell
Keine Religion kann das weiße Feld Gottes fassen: „Lehrsatz aus dem Mittelalter, das Endliche kann das Unendliche nicht fassen“. 57 Du bist in deiner Religion biografisch-kontextuell mit deiner religiösen Brille ausgestattet worden. Das ist die Entdeckung der Ökumene der Religionen.
Damit verlässt Haberer die „blauen Überzeugungen, die letzten Reste der Vorstellung, die christliche Religion verfüge exklusiv über die Wahrheit und Gott wolle sich den Menschen ausschließlich in Jesus Christus zeigen ... diese Vorstellung schränkt Gott ein, und sie schließt den größten Teil der Menschheit vom Heil, vom gelingenden Leben aus, kalt lächelnd oder auch mit großem Bedauern … aber können wir wirklich glauben, dass ein Gott, von dem es in der Bibel heißt, er sei die Liebe … und er lasse seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lass es regnen über Gerechte und Ungerechte …, dass dieser Gott den größten Teil seiner geliebten Kinder ins ewige Verderben schickt, nur weil sie ihn unter dem falschen Namen anrufen. ... Ich stelle mir das Neben- und Miteinander der Religionen wie in einem Symphonieorchester vor, in dem jedes Instrument etwas Wesentliches bei trägt…“ 57f
„Wir glauben an den selben Gott, denn es gibt nur einen Gott. Wir glauben an ihn jedoch auf unterschiedliche Weise, und das ist gut so. Denn Vielfalt ist das Grundprinzip der Schöpfung.“ 59k
Mein Kommentar:
Er argumentiert hier auf Basis einer klassisch orangenen aufklärerischen Bibellektüre und überwindet nicht den Höllenmythos historisch, sondern Im Namen eines „liebenden Gottes“. Mit diese Argumentation nimmt er weiter das Gottesbild des 19. Jahrhunderts auf, wir sind heute damit nicht mehr zufrieden: postkoloniales Motto: Der Jesus des 19 Jh., der uns in die imperiale Ausbeutungsphase der Kolonialzeit geritten hat (sie zumindest nicht verhindert hat), wird uns nicht aus ihr - heute in Form des "Neoliberalen Geldsystems" - retten können.
Kap. 2 Von Gott und der Welt
Schöpfung 7.0 – die Evolution Gottes, Quantenmechanik und schwarze Löcher
nach der Darstellung von
KREATIONISMUS - „Gott habe die Welt hergestellt wie ein Handwerker, macht Gott zu klein.“ 64 und
PANTHEISMUS - hier fehlt ihm die Transzendenz, eine höhere Instanz, und damit die „Hoffnung dass irgendetwas irgendwann grundlegend besser werden könnte.“ 63
plädiert Haberer für die Paradoxie, die ihn am meisten plausibel erscheint im
PANENTHEISMUS - „ die Welt ist in Gott, aber Gott ist mehr als die Welt. Oder noch etwas schärfer zugespitzt: Alles ist in Gott, aber Gott ist mehr als alles. Und das ist wieder eine der Paradoxien, die zu strahlen beginnen, wenn sich das Bewusstsein im gelben Raum nähert.“ 65
Mehr als alles: „Gott begegnet uns in dem, was ist, und gleichzeitig ist in Gott die Fülle alles dessen enthalten, was möglich ist. …reine Potenzialität. Gott selbst ist es, der vor 13,82 Milliarden Jahren begonnen hat, sich in dieses Universum zu „inkarnieren“.“ 67
- Schöpfung als erste Inkarnation Gottes (Quantenmodell als Bild, vgl. Bornhauser, Gott für Erwachsene 68-78)
"Dreins" – Gott als Schöpfer, Gott als Schöpfung, Gott als Kommunikation
Haberers Kritik der klassischen Trinitätsvorstellung führt zu dem Vorschlag: statt eins oder drei, dreins. Aus Orange „wirkt die Lehre von der Trinität damit eher wie eine Beleidigung für die Vernunft, ein ärgerlicher Ballast, ein Überbleibsel aus der blauen Ära" 80
GRÜN „sieht in der Trinitätslehre ein Hindernis für den Interreligiösen Dialog, insbesondere mit den anderen monotheistischen Religionen, dem Judentum und dem Islam“ 81 (siehe christlich-jüdischer Dialog - ich meine genau zurecht!)
GELB: liebt das Paradox. Plötzlich beginnt die uralte Lehre wieder zu leuchten – nicht als Dogma, … sondern als wunderbar paradoxe Annäherung an eine Wirklichkeit, die sich linear-logisch nicht erfassen lässt“ 81
Nebenthema: Er weist hin auf die Kritik des Person-Begriffs und plädiert pro Modalismus 82f
„Post-moderne Menschen gehen von dem panentheistischen Grundsatz aus, dass es keine absolute Trennung und Gegenüberstellung zwischen Gott und der Schöpfung, zwischen Gott und Welt und damit zwischen Gott und uns Menschen gibt.“ 84
TRANSZENDENZ: „ Gott ist nicht in einem Jenseits – diese Ansicht haben wir mit BLAU abgelegt. Gott ist mitten in unserem Leben anwesend, und gleichzeitig ist er der ganz andere.“ (Modell Kippbild) 86
PANENTHEISTISCH: „die Schöpfung ist nun die andere Seite Gottes. Und die theologische Tradition enthält einen Gedankengang, der wie ein Sprungbrett zu dieser Erkenntnis führen kann: das ist der Gedanke von der zweiten Person der Trinität, Jesus Christus, dem Sohn. Von ihm heißt es, dass er wahrer Gott ist und wahrer Mensch.“ 87
Diese Weltbild-Beschreibung konvergiert mit Walter Winks Formel Inseits statt Jenseits.
„Inkaniert sich dieser kosmische Christus aber nicht nur einmal in den Menschen Jesus, sondern verstehen wir die gesamte Schöpfung als Inkarnation, dann ist diese Welt des Geschaffenen, der „Formen“, die wir wahrnehmen und in der wir uns bewegen, nichts Zufälliges, nichts weniger Reales als die Lehre/Fülle, aus der alles entspringt. Sie ist ebenso Gott wie der Urgrund, der Schöpfer, die Quelle allen Seins.“ 88 (Bezug auf Richard Rohrs Trinitätsverständnis)
ATEM GOTTES - GEIST:
- Ruach „Gottes Geist ist das verbindende, so etwas wie die Schnittstelle zwischen dem ewigen, unveränderlich in sein, dass wir mit der ersten Person der Trinität assoziieren, und im konkreten, gewordenen und werdenden, dass wir in der zweiten Person der Trinität sehen.“ 89
- Liebe Augustin-Modell (Seelenmodell)
- Leiden: „…und das dritte: Leid und Tod sind Gott nicht fremd. Gott ist unsterblich, allmächtig und ewig – und Gott ist sterblich, ohnmächtig und vergänglich. Denn in der zweiten Person der Trinität, in Jesus, der am Kreuz gestorben ist, hat sich Gott den Menschen einverleibt – und damit ihrem Leiden und Sterben.“ 92
NACH-THEISTISCH. 92ff Der Vater im Himmel als „Quelle und Ursprung des Lebens, als Reich der Möglichkeiten“ 97
IST GOTT GERECHT? - Theodizeefrage 98ff:
Jeder Bewusstseinsraum hat zur Theodizee eigene Vorstellungen entwickelt:
- BLAU spätjüdisch: Auferstehung der Toten/Tun – ergehen – Zusammenhang 100
- ORANGE: bedeutet das AUS für den Glauben an Gott 101
- GRÜN: ein Gott, der alles in allem ist, auch das Böse mit umfassen muss… 101
- GELB: Wenn wir wie es im Christentum üblich ist „Gott trinitarisch verstehen, dann sieht die Sache doch etwas komplexer aus. Dann ist Gott nämlich nicht (nur) der, der die Menschen schlägt, sondern Gott ist auch der, der geschlagen wird. Gott ist dann der Verursacher von Leid und Tod – und Gott leidet und stirbt selbst in und mit uns Menschen und der gesamten Schöpfung…. Gott ist der gesamte komplexe Prozess, in dem Gutes und Böses, Glück und Leid entstehen und vergehen. … auch das ist natürlich keine Antwort die unser Bedürfnis nach Ausgleich in der Gerechtigkeit befriedigt. Ich glaube, eine solche Antwort gibt es nicht, solange wir unter den Bedingungen von Raum und Zeit existieren.…. Meine Hoffnung ist, dass wir eines Tages die Begrenzungen von Raum und Zeit hinter uns lassen und in einen Bereich jenseits von Tod und Leben gelangen. Dort und dann (wobei die Begriffe dort und dann in einem Zustand jenseits von Raum und Zeit keine Bedeutung haben) werden wir erkennen, dass alles eins ist.“ 102f (vgl. 1.Kor 13 SPIEGELMETAPHER Joh. 14 „an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen“.
Kap. 3 Jesus Christus
Jesus, der Christus
- Historischer liberaler Messias Begriff = Christus (griech) - die story von Jesus aus Nazareth bis zum Christentum 313: 105-111
- Historisch-kritische Kritik an der Auferstehung / Leben-Jesu-Forschung 111- 116 . Bis zum „Jesus-Seminar“ 1985 ipsissima vox Jesu - dennoch/deshalb sind die Evangelien historisch höchst glaubwürdig
- Jesus, der männlich/weibliche Rabbi, 118f
- REICH GOTTES:… zeitgenössische jüdisch-apokalyptische Vorstellung: Gott selbst würde eingreifen und die Herrschaft auf Erden übernehmen. An diesem Tag JHWHS würden endlich die Verhältnisse zurecht gerückt werden. Messias als Krieger-König… „Jesus greift diese Vorstellungen und Erwartungen auf, aber er formt sie auf sehr charakteristische Weise um. Das Reich Gottes wird nicht durch Krieg und gewaltsam in Umsturz kommen, sondern leise, fast unbemerkt, aber unaufhaltsam, so wie der Weizen heranwächst oder wie aus einem kleinen Senfkorn eine große Staude wird. Ja, das Reich Gottes ist schon angebrochen.“ 121 Luk. 17, 20f /Luk 4, 18ff HEUTE.
- Jesus als HEILER im NT konfiguriert, aber „das Wesentliche sind seine Predigten. Seine Botschaft ist radikal, nicht nur damals, sie ist es auch noch heute. SIE lässt sich meiner Überzeugung nach in einem einzigen Gedanken wie in einem Brennglas fokussieren: im Reich Gottes wird die Trennung zwischen drinnen und draußen – der tragende Grundpfeiler der Religion im BLAUEN Bewusstseinsraum – aufgehoben.“ 123 (Beispiele: REIN-UNREIN, FRAUEN-MÄNNER, JUDEN-UND DIE ANDEREN, DIE GUTEN UND DIE BÖSEN, …)
„Allen Menschen – ohne Ansehen ihrer Person, ihrer Nationalität, ihres Geschlechts, ihres Renommee ist, ihrer Rechtschaffenheit, ihrer religiösen Zugehörigkeit – sollen die Jüngerinnen und Jünger mit Liebe begegnen, und die Liebe überwindet alle Trennungen. Das ist die Zusammenfassung der Lehre Jesu… damit bewegt sich Jesus zunächst ganz auf dem Boden seiner jüdischen Religion und der hebräischen Bibel. Erst in der Frage, was das bedeutet, konkret: wer denn der Nächste ist, den man lieben soll, zeigt sich Jesu besondere Radikalität. Der Nächste, das ist ja in einer traditionellen, Blau orientierten Gesellschaft auf jeden Fall ein Angehöriger des eigenen Volkes, vielleicht auch nur der eigenen, religiösen oder sozialen Gruppierung. Jesus entgrenzt, wie es für ihn typisch ist.“ 131
Das Doppelgebot der Liebe wird heute oft als Dreifachgebot verstanden. + Mt. 25,40 132f
Zusammenfassende Skizzen verschiedener Christologien (BLAU-GRÜN)
Haberers ORANGE CHRISTOLOGIE(!) skizziere ich so:
„Die Frage nach der Wahrheit lässt sich im gelben Bewusstseinsraum also nicht durch den Verweis auf historische Fakten oder dogmatische als wahr definierte Sätze beantworten, zumal die historische Wirklichkeit ja – abgesehen von den holzschnittartig in Grundzügen, die ich dargestellt habe – gar nicht so eindeutig erkennbar ist. GELB geht anders an die Sache heran. In GELB können wir aufhören, „hinter“ dem Text nach der „eigentlichen“ Wahrheit zu suchen, nachdem, was „wirklich“ geschehen ist und was Jesus „tatsächlich“ gesagt hat. Wir können den Text als Ganzes nehmen und uns von ihm inspirieren lassen… weil er so wie er da steht, gewirkt hat.“ (soweit korrekt, aber vgl. "Narrative-Perspektive“ bei Perriman, der auch von der Wirkung der kanonischen Endredaktion ausgeht, aber der die Verbindung immer zur Geschichte als empirischem Grund behält. Bedeutung lässt er streng in historischer Kontextualisierung stehen.)
Schlüsselwort: Wahrheit als Mythos (gg. unseren „Historisch-narrativen“ Ansatz)
Haberer behauptet: Die biblischen Texte sind nicht wahr, weil wir ihnen »historische Faktizität« zuschreiben würden, sondern nur insofern sie »gewirkt« haben. Soweit ist sogar mit Andrew Perriman Konsens herzustellen, der auf die endredaktionelle Ebene und Aussageabsicht der Schriften schaut (www.postost.net). Dann schließt Haberer aber die historische Dimension fast wie aus und wechselt auf eine überzeitlich-mythische Perspektive:
»So, wie die Geschichten da stehen, haben sie Menschen berührt, verändert, getröstet, oft genug auch verstört, in die Verzweiflung getrieben und dann auch wieder aufgerichtet. Die Geschichten und die überlieferten Worte von Jesus haben archetypische Kraft, noch mehr: Sie haben mythische Kraft. Wenn wir sie als Mythos begreifen, bekommen Sie eine ganz neue Qualität von Wahrheit. Wir müssen die Bibel also mit Nichten entmythologisieren, wie Rudolf Bultmann vor 80 Jahren meinte, sondern im Gegenteil: wir begreifen ihre Wahrheit als Mythos.“13
DF. MYTHOS: „ ein Mythos ist eine Geschichte, die historisch nicht stattgefunden hat, wie etwa die Geschichte von Adam, Eva und der Schlange im Paradies… sondern eine Geschichte, die sich täglich, damals wie heute, Hier und Jetzt ereignet.“138
„Die mythische Wahrheit ist nicht geringer als die historische, sondern größer. Tiefer. Umfassender. Die historische Wahrheit ist vereinzelt, zufällig – die mythische gilt hier und heute, immer und überall. Denn ein Mythos wird nicht einfach erfunden oder ausgedacht. Im Mythos schlagen sich die Erfahrungen vieler Generationen nieder. Der Mythos hat Kraft und die Macht, das Leben zu deuten. Sonst wäre er nicht tradiert worden.“ 139
„Das ist für den GELBEN Bewusstseinsraum das Entscheidende: dass die Geschichten der Bibel, die Worte, die von Jesus überliefert worden, ja auch die Sätze, die Paulus und andere in ihren Briefen formuliert haben – Dass diese Worte Menschen heute berühren und ihr Leben zum positiven verändern können. Und wo das geschieht, da wirkt der Atem Gottes, da wirkt Gottes Geist. Insofern kann man sagen, dass die Bibel „inspiriert“ ist, d.h. Geist gewirkt. Und das ist sie, insofern sie mit der Kraft des Mythos dich und mich erreicht, dein und mein Leben erhält, unsere Gemeinschaft informiert und verändert.“ 140
Mit dieser hermeneutischen Entscheidung bleibt nur noch die allegorische Auslegung sinnvoll und historische Ereignisse bleiben da leider nur noch zufällige Kulisse für ewige Wahrheiten.
Klassisch deutsch-liberale Paulusexegese im Sinne der Propheten-Anschlusshypothese (gg. New Perspective of Paul): Christus, der Sohn Gottes 140ff
Haberer stellt dies also als wissenschaftlichen Konsens vor (vgl. als Gegenbild diesen Aufsatz):
- Paulus interessiere sich nicht für den historischen Jesus aus Nazareth, nur für Kreuz und Auferstehung.
- Christus gehöre eng mit Gott zusammen (Gott gleich, Phil. 2,5, Kol. 1, 15-20): mit dem Namen Jesus und dem Titel Christus werden zwei unterschiedliche theologische Konzeptionen vereint: hier der Mensch, der Weisheitslehrer, der Prediger der Liebe – da der göttliche Erlöser, der von Gott herkommt und wieder zu Gott geht, der von göttlicher Gestalt ist, ja: der Gott gleich ist.“ 142
- Johannes habe eine Logos Christologie, das Wort wurde Fleisch, d.h., diese ewige Welt-Vernunft, die bei Gott ist, ja: die Gott ist, wird konkret, historisch, geht ein in die physische Welt. Das lateinische Wort für „Fleischwerdung“ lautet Inkarnation. Nach der ersten Inkarnation Gottes, die Richard Rohr zufolge in der Schöpfung, mit dem Urknall stattgefunden hat, folgt nun eine zweite, spezielle Inkarnation: der göttliche Logos geht als Mensch in diese Welt ein, als der Mensch Jesus aus Nazareth.“
- THOMASEVANGELIUM: Jesus wird hier in einigen dieser Aussprüchen als der kosmische Christus dargestellt, der Logos, der in allem zu finden ist, was ist… sehr dezidiert spricht Jesus im Thomas Evangelium davon, dass das Gottes Reich bereits gegenwärtig ist: „seine Jünger fragten ihn: an welchem Tag wird die Ruhe der Toten eintreten? Und an welchem Tag wird die neue Welt kommen? Er antwortete ihnen: was ihr erwartet, ist gekommen, aber ihr, ihr erkennt es nicht“ (Logion 51)“ 144
Mensch oder Gott?
"Obwohl Jesus, die Jünger und Paulus Juden waren (Shema Israel: Gott ist einer), konnten Sie mit Psalm zwei Jesus als Christus, als Messias, verstehen. Nun aber sagen Johannes und Paulus, dass Christus Gott gleich ist, von göttlicher Gestalt, dass er vor aller Schöpfung bei Gott war, dass durch ihn die Schöpfung geschah, dass alles Geschaffene auf ihn ausgerichtet ist und am Ende in ihm wieder zusammen findet. Solche Aussagen stellen Christus eindeutig auf eine Stufe mit Gott, Sie schreiben ihm göttliches Wesen zu. Und das war für den jüdischen Glauben undenkbar.“ 146
Mein Kommentar: All diese exegetischen Ergebnisse sind klassischer Ausdruck bestimmter deutschen Forschungstraditionen, integrieren aber überhaupt keine Ergebnisse aus dem (deutschen) jüdisch-christlichen Dialog oder der englischen New Perspective on Paul-Fachperspektive. Andrew Perrian hat in seinem neuesten exegetischen Fachbuch zu Phil 2 ("In the Form of a God") alle oben genannten Inkarnations-Interpretationen widerlegt, weil sie nicht den Texten sachgerecht werden. Er schlägt eine faszinierend andere Deutung vor, so dass die Texte im jüdischen Horizont ihrer Zeit sprechen können und plausibel werden.
Was macht Haberer also, wenn er all diese Deutungen anbietet. Er argumentiert anachronistisch, indem er die Dogmenbildung der geschichtlich gewordenen Trennung von Judentum und Christentum bis ins fünfte Jahrhundert, die zur dogmatischen Formel der „beiden Naturen“ Christi führte, heimlich schon in biblischen Zeiten voraussetzt (Stichwort "Inkarnationsgedanke"). Und diese dogmatische Reise wird rückwirkend wieder faktisch zum Schlüssel seiner Lesart. Er liest Bibel also aus spätkonzilischer Perspektive mit dem theologischen Vorverständnis „Zwei-Naturen-Dogma“. Er anerkennt die Paradoxie dieses Dogmas und rettet es dennoch (gerne) mit folgendem Move:Mit der quantentheoretischen Perspektive sind die einander logisch widersprechen Aussagen als nebeneinander stehen zu lassen.(:-) Nein, so geht Bibelexegese nicht, so liest er sich das dogmatische Vorverständnis in die Bibelauslegung hinein.
Paulus, der Mystiker
… meinen heute viele, die Jesus „toll finden“, „Paulus habe den ursprünglichen Impuls von Jesus verfälscht, aus dem Prediger der Liebe und des Friedens, dem konsequenten, aufrichtigen Märtyrer der guten Sache habe er ihn in hellenistischer Manier als Gott-Wesen gemacht und damit Jesus und seine Botschaft verraten. Damit legen sie einseitig den Akzent auf den Menschen Jesus und übersehen, wie ich meine, die eigentlich aufregende Sache. Paulus hat eindeutig Stellung bezogen im Sinne der Göttlichkeit von Jesus, dem Christus, das ist wahr.“
- Radikalisiert die Botschaft von Jesus, dass wir keine äußerlichen Reinheits-Vorschriften einhalten, kein korrekten Opfer bringen müssen, um Gott Recht zu sein
- erst mit Paulus, der die göttliche Herkunft des Christus betonte und darauf seine Verkündigung aufbaut, fand die Botschaft von Jesus, dem Christus ihre Verbreitung im gesamten Mittelmeerraum und darüber hinaus.
Der leidende Gott 159-
Kreuz- und Sühne-Verständnis der Evangelien, GELB
„Jesus Christus, so haben wir behauptet, ist nicht das einzigartige Himmelswesen, das herab gekommen ist, um uns Menschen zu erlösen. Vielmehr gehen wir davon aus, dass in Jesus von Nazareth – wie in uns allen – der kosmische Christus zur Welt gekommen ist. Die Besonderheit liegt darin, dass der Mensch Jesus in seiner Persönlichkeit so geklärt war, dass er ein klares Bewusstsein seiner – unserer – göttlichen Natur hatte. Dieses klare Bewusstsein unterscheidet Jesus von den allermeisten anderen Menschen. Es ermöglichte ihm, in göttlicher Vollmacht zu sprechen und zu handeln.“ 162
KREUZ ALS MYTHISCHES SYMBOL DES MITFÜHLENS GOTTES
„An diesem scheinbar so ungöttlichem Ereignis, dem Tod Jesu am Kreuz, wird deutlich sichtbar, dass Gott sich nicht heraushällt. Im Gegenteil: in allem, was Menschen an schlimmen, schrecklichen, schmerzhaften durchmachen müssen, ist Gott mittendrin dabei. Es gibt keinen Ort auf der Welt – nicht einmal die Hölle, wenn es sie denn gebe –, an dem Gott nicht zu finden wäre. Das nimmt dem Schrecklichen nicht den Schrecken, dem Schweren nicht die Schwere, dem Leiden nicht das Leidvolle. Und doch: in alldem Leiden und alldem Schrecken ist er, der wahre Mensch, an unserer Seite und in der Tiefe unseres Herzens. Er geht mit uns, ob wir das wissen, ob wir das glauben, ob wir das spüren oder nicht.“ Diese Position impliziert nach Haberer die
- Ablehnung des dualistischen Modells, das Prinzips „Teufel“
- Ablehnung, dass alles Böse durch menschliche Sündhaftigkeit in die Welt gebracht sei und
- die Erfahrung der Mystiker aller Zeiten bezeugt: „dass in göttlicher Perspektive das Leid kein Leid ist. Unser Alltagsbewusstsein mag sich dagegen sträuben, und auch mit einem gewissen Recht.“ 165
Er beschließt seine Argumentation (logisch ziemlich schwach) so:
„Begreifen lässt sich das alles nicht wirklich. Das Kreuz ist und bleibt ein Mysterium. Wer behauptet, er hätte es begriffen, hat nichts begriffen.“ 167
Mein Kommentar zu zwei Teilaspekten
zur 1. Christologie / Trinitäts-Theologie insgesamt
Die Konstruktion dieser letztlich mystischen Christologie (mit den großen Referenzen zu Richard Rohr und den alten Mystikern), verlässt an entscheidender Stelle mit der These, dass wir mythologisch die Bibel lesen müssten, die historische Perspektive ohne Not und ohne Begründung… Ein gutes Beispiel wie "einfach" doch der Tod Jesu historisch zu rekonstruieren wäre, ist diese Deutung von A. Perriman.
Die Motivation für seine Denkfigur ist sicher die moderne Frage, wie konstruieren wir denn Wahrheit aus alten historischen Texten, wenn wir das Bedürfnis verfolgen, über die historische Wahrheit zur allgemeinen gültigen(philosophischen) Wahrheit zu kommen? Das war schon Lessings Ausgangsfrage im 18. Jh. und der Startschuss zur historischen kritischen Forschung und Interpretation der Schriften. Also alles nicht neu. Nur Haberer vermeidet die historische Antwortebene und geht ohne Not auf eine allegorisch-mystische Ebene:
Dort muss er Widersprüche, die er selbst er konstruiert hat mit Paradoxien auffangen. Und in seinem mystisch-paradoxen Verständnis bleibt Haberer erstaunlich konservativ, vormodern fast, im klassischen christentümlichen Denkrahmen. Er kann nicht entschieden historisch konstruieren, weil - so meine Vermutung - er dann keine Wahrheit im gewünscht überzeitlichen Sinne übrig behielte.
Durch die im 5.-6. Jahrhundert n. Chr. geprägten inkarnations-theologischen Vorstellungen, gelingt es ihm nicht die eigenständige jüdische Interpretationsperspektive der Zeit des 1. Jahrhunderts zu würdigen, die wären
- Kreuz und Auferstehung sind zuerst einmal römische Gräueltaten in jüdischen Widerstands-Situationen
- Reich Gottes ist eine politische Zukunftserwartung, die sich historisch bewahrheiten (oder eben nicht)…
Aufgrund seiner hermeneutischen Entscheidung wird der "Jesus" von Haberer (sic: die klassisch antijüdisch liberale Position des 19. Jh.!) faktisch doch zum ersten Christen, der den jüdischen Glaubensrahmen verliert, radikalisiert und damit sprengt und so eben das Christentum als neue universale Religion "erfindet". Ich bin fast erschüttert. Wieso kann Haberer die Früchte des 70jährigen jüdisch-Christl. Dialogs nicht nutzen und statt dessen auf einer solch klassisch liberalen Position argumentativ beharren? Damit wird deutlich wie deutsch-provinziell seine Perspektive ist. Im internationalen Diskurs ist mindestens
- aber die jüdisch-christliche Diskussion dominant und
- die eben außer-deutsche Paulusexegese der „new perspective on Paul“ (N.T. Wright und Co.) breit reflektiert.
Durch seine Neo-trinitarische Interpretation der göttlichen Inkarnation in drei Stufen:
- mit dem Urknall inkarniert GOTT (Kosmischer Christus) in den Kosmos
- mit Jesus inkarniert GOTT (Kosmischer Christus) in den erleuchteten (den am meisten erleuchteten!) Menschen (hier sitzt das alte christentümlich-koloniale Verständnis, das schon Schleiermacher 1799 in seinen „Reden zur Religion“ brachte)
- mit dem Geist inkarniert GOTT (Kosmischer Christus) als verbundenes Prinzip (LIEBE) zwischen den Paradoxien (Ziel: nonduale Weltsicht)
Der Preis dieses Moves ist die (aus meiner Sicht unnötige, weil nicht plausibilierbare!) Aufgabe der Interobjektivität der Interpretation unserer Weltgeschichte z.B. mit Hilfe des jüdisch-messianischen Narrativs, das die historischen Entwicklungen und Folgen der prophetischen Ansagen gemäß ihres Selbstverständnisses notwendig historisch beglaubigen können muss. Sonst wären Propheten eben „false prophets“. Er springt stattdessen in einen Mythos, der sicherlich (perdefinitionem) überzeitlich funktioniert. Und damit ohne/jenseits historische/r Forschung zu besseren (sic!) Wahrheits Aussagen führen soll. Wirklich?
Diese seine mystischen Wahrheitskonstruktionen sind doch sehr gefährdet, weil sie der beliebigen Interpretation ohne jedes historisches Korrektiv ausgeliefert bleiben. Sie plausibilisieren rein subjektiv-innerlich, wenn es hoch kommt Inter-subjektiv in „mystischen GESINNUNGRUPPEN“. Hier fehlt ir die Stärke des vierten Quadranten, der die Quadranten 1-3 gut komplementieren könnte.
Gerade in Zeiten, in denen wir zu lernen haben, Abstand zu nehmen von Fake News, ist eine solche empirisch-historische Korrektur für religiöse Interpretationen für mich zwingend. Ja, unaufgeräumte Mystik rangiert in der öffentlichen Wahrnehmung ansonsten (dann zu Recht!) sehr schnell auf gleicher Ebene mit Fake News, was der Glaubwürdigkeit jeder Theologie schadet.
Mit unserem Ansatz im Omegakurs, der sogenannten „historisch–narrativen Exegese“ im Sinne Andrew Perrimans, benötigen wir die mystische und mythologische Dimension nicht, um Heilige Schriften sachgemäß zu interpretieren. Mit unserer Hermeneutik können wir stattdessen bei der historischen Weiterentwicklung spiritueller Bewegungen bleiben, was Vielfalt und Realitätsbezug fördert. Obwohl durch die Spiraldynamiks-Brille solch eine Evolution spiritueller Vorstellungen und Bewegungen ja eigentlich argumentativ vorhanden ist, springt Haberer als mystischer Interpret aus einer heiligen, überzeitlichen Offenbarung direkt (ohne historische Entwicklung zu brauchen) ins Heute. Das ist ganz im Stil bultmannscher liberaler Lesart: welche „überzeitlichen Wahrheiten“ lesen wir aus unseren autoritativen Texten bei allem Bewusstsein ihrer historischen Abständigkeit? Bultmann wählt die Entmythologisierung, Haberer eine Remythologisierung. Wir schlagen einen 3. Weg vor.
- Bultmann kämpfte noch ORANGE gegen Religion als Mythologie.
- Haberer argumentiert GELB mit einer neuen Wertschätzung von Mythologie, integriert aber ORANGE nicht.
In dieser neo-mystischen Denkschule ist dem Christentum zufällig-historisch die einmalige(?), historisch erstaunliche(?) Offenbarung einer überzeitlichen Inkarnationsmythologie gelungen. Und die christliche Leitfigur Jesus gilt als die idealtypische mythische Verkörperung des „kosmischen Christus“.
Zum Stichwort "KOSMISCHER CHRISTUS": dieser Begriff steht in Haberers Theologie für das Inkarnationsprinzip Gottes an sich Pate. Also entwickelt Haberer aus der BLAUEN Christentümlichen Brille mit deren Konstruktion einer Inkarnations-Trinitätstheologie eine neue GELBE panentheistische Gottes-Idee - OHNE DIE ORANGENE PERSPEKTIVE RADIKAL ERNST ZU NEHMEN UND ZU INTEGRIEREN. Diese historischen Ergebnisse (einiger deutscher Exeget:innen!) schmecken ihm theologisch so wenig, das er das Gericht einfach preisgibt. Dabei gäbe es schmackhafte internationale Angebote, die alles in eine anderen Licht erscheinen lassen würden. Schade.
2. Unsere Antwort auf den mystischen Individualismus: Mit Perriman entscheiden wir uns zur Gemeinschaft gegen Individualismus (das neue TÜRKIS)
Das anti-individualistische Anliegen hat theologisch wahrscheinlich folgende Implikationen: wir müssen neue Pluridoxien (besserer Begriff als „Heterodoxien“) wagen und
- die Inkarnationsperspektive als Leitvorstellung grundsätzlich aufgeben.
- die Gottesvorstellung monotheistisch/transpersonal statt trinitarisch konstruieren
- den Fokus vorrangig auf die politische (jüdisch-apokalyptische) Perspektive des Gottesvolks richten
- also den mystisch-individualistischen Fokus gegen einen ekklesiologisch-politischen Schwerpunkt tauschen
- wir gründen sachgemäß also mit NuPerspective keine Gesinnungsgruppen, sondern bewußt paradox TÜRKIS „heterodox-Gruppen“ oder „pluridox-Gruppen““, die eben NICHT ihre verstärkende Funktion in intersubjektiv gestärkten Wahrheiten, sondern in intersubjektiv geförderter „Befremdung“ („bewilderness“) bei gleichzeitig guter Verankerung in historisch (intersubjektiv/interobjektiv) greifbarer Welterfahrung (als Geschichte und Materie) gemeinsam geteilter Wahrheit. Das ist die von uns geforderte Umkehr zur Erde (als Gegenmodell zur Migration ins Jenseits oder subjektivistisch-dualistische Inseits).
Kap. 4 sich selbst ein Rätsel - der Mensch
- Evolutionsbiologische Perspektive 169-172
- Gottes Ebenbild: „Gott repräsentieren in der Welt“ 172
- Haberers eigenständige Spitzenthese: Menschen tragen in sich die 2 Naturen „ wir alle sind Gotteskinder und damit im tiefsten Kern unsterblich, ewig, göttlich, so wie wir allesamt sterbliche, endliche Menschen sind.“ 175 „ was mich persönlich an diesen Gedanken so fasziniert, ist dies: die Vorstellung, dass wir Menschen in Gott aufgehoben, in unserem innersten Wesen göttlicher Natur sind, ist kein postmoderner, esoterische Firlefanz." 176 Haberer findet dafür Belege in seiner Bibellektüre seit dem Schöpfungsmythos im biblischen Ebenbild-/Kind Gottes-Gedanken
- Theosis - der Mensch wird Gott: „Gott wurde Mensch, damit wir Menschen erkennen können, dass wir im innersten, tiefsten Wesen von göttlicher Natur sind. Wir können Gott nicht werden, wir sind schon Gott. Und nun gilt es, hinein zu wachsen in unsere göttliche Natur.“ 180
Ich bin - Bewusstseinsverständnis 180-203
In diesem Kapitel beschreibt er die unterschiedlichen Bewusstseinszustände, Ich-Zustände, Selbst-Zustände, und die verschiedenen neuen psychologischen Befunde zwischen Hirnforschung und Psychologie.
Durch die Quadrantenperspektive kann er die verschiedenen Wissenschafts Perspektiven und subjektive Perspektiven zusammen denken.
Kap. 5: Sünde und Erlösung - ein kosmisches Drama in mehreren Akten 205ff
Er referiert noch einmal die unterschiedlichen Sünden und Erlösungsvorstellungen der verschiedenen Farbsegmente und Bewusstseinsräume und interpretiert dann von der GELBEN Perspektive her den Schöpfungsmythos. 217ff folgendermaßen:
- kein Sündenfall sondern die Entdeckung des ich Bewusstseins
- keine Strafe, sondern die Bewusstheit des Sterben müssens und des Leidens durch das erweckte Selbst Bewusstsein der Menschheit
- es ist die Geschichte des mündig werdenden Menschen oder des bewusst werdenden Menschen
- Sünde ist Zweiheit. „So bezeichnet die Tatsache, dass wir Menschen nicht in der ursprünglichen Einheit leben, zumindest solange wir in dieser Welt sind. Und das ist kein moralisches Defizit. Was wäre unmoralisch daran, dass wir ein Atmen und ausatmen, dass wir eine rechte und eine linke Hand haben, eine rechte und eine linke Hirnhälfte? Was wäre unmoralisch daran, dass es hoch und tief gibt, heiß und kalt, männlich und weiblich, vorne und hinten, angenehm und unangenehm, lebendig und tot und, ja: Gut und böse? Gott ist das große Ganze, dass Sein selbst. Gott ist die Einheit schlecht hin, oder eigentlich die „Dreinsheit“.“ 233
- die Polarität von Liebe und Angst (statt Liebe und Hass). Hier lassen sich die Klaus Grawe/ Julius Kuhl Annäherungsversuch-/ Vermeidungsmuster als Denkmodell sehr gut verknüpfen.
- die Absage an den Erlösungsglauben: Christentum sei keine Erlösungsreligion. Es gehe um die Bearbeitung der Entfremdung, das gute Leben mit der Zweiheit. 231f / und „damit erledigt sich das Problem der Erlösung von selbst. Gott liebt uns, Punkt.“ 249, „Es braucht keine Erlösung von seinem Zorn, denn Gott war nie zornig. Wenn Gott nicht zürnt, wenn Gott nicht straft, dann braucht Gott auch nicht dieses ganze kosmische Drama. Gott braucht nicht die stellvertretende Leistung des einen Gerechten, dass all den Sünderinnen und Sünden zugerechnet wird, obwohl sie es eigentlich nicht verdient haben. Gott muss nicht versöhnt werden, Gott war nie unversöhnt. Wozu brauchtest du noch Jesus Christus? Es braucht ihn tatsächlich nicht in dem kosmischen Erlösungsdrama, es braucht ihn nicht als Mittler zwischen Gott und den Menschen, es braucht ihn nicht als „unschuldiges Opfer Lamm, das die Sünde der Welt trägt“. Es braucht ihn nicht als Retter vor dem Zorn Gottes und vor Hölle, Tod und Teufel.“ 249
- „Von Bedeutung für Christen ist einzig, dass Jesus uns gezeigt hat, wie wir die Sünde, d.h. die ZWEIHEIT, die Trennung oder Separation überwinden können. Ja dass sie schon überwunden ist und wir nur in die Liebe und Gemeinschaft, die längst gestiftet ist, hinein wachsen müssen und hinein wachsen können. In diesem hinein wachsen verwirklicht sich die Erlösung, die schon längst geschehen ist. Wie wäre es, wenn wir uns sagen lassen: weißt du, du hast ein viel größeres Potenzial, dass du bisher nur in Ansätzen verwirklicht hast. Da ist noch so viel mehr Leben drin! Und ich zeige dir, wie es geht.“ 250
- Es geht um die Liebe. „Gott braucht unsere guten Taten nicht. Aber die Welt braucht sie. Deshalb spricht Jesus unentwegt von der Liebe. Jesus gibt keine konkreten Anweisungen, keine Regelungen für die einzelnen Wechselfälle des Lebens. Er bringt uns bei, die Trennungen aufzuheben, die wir Menschen unter uns vorfinden und immer wieder neu aufrichten. Stattdessen, so sagt er, sollen wir in unseren Mitmenschen genau das Ebenbild Gottes sehen, das wir selbst sind, und sie so behandeln, als wären sie Christus selbst. Sie sind es ja.“ 259
- Beschreibung der Reinkarnationsvorstellungen und Abgrenzung zur Auferstehungsvorstellung in der Bibel. Die Auferstehungsvorstellung wird von Haberer einigermaßen angemessen in historischer Perspektive eingeführt. Zugleich fehlen Deutungen, die Perriman anbietet. Siehe unten mehr.
- Eschatologie: Er konstruiert als Auferstehungshoffnung keine Einzelseele(n) in der Ewigkeit, sondern ein Aufgehen in des Gesamtbewusstsein Gottes unter Mitnahme aller möglichen Erfahrungen und Bewusstseinsentwicklungen.
Ekklesiologie? Fehlanzeige — nur als pragmatische Beispielssammlung angedeutet.
6 Typen GELBER Spiritualität
Er kann ohne jegliche Ekklesiologie auskommen, weil die eigentlich theologisch keine Notwendigkeit hat.
In diesem Kapitel arbeitet er an einer individuellen Verantwortungsethik (vorletztes im Sinne Bonhoeffers) kritisch und selbstkritisch die einseitige Spannung zwischen Transformation (durch Meditative Bewußtseinsarbeit) und Translation (als ethische Arbeit ) in der integralen Szene auf. Mit seinem Ansatz kann er gut ohne Gefahr eines perfektionistischen Dralls in Richtung Transformations- und Meditationspraxis Christentum leben, erwartet aber „Heiligungsarbeit“ im diakonischen Vollzug.
In Freiheit und Verantwortung geht es ihm wie Wilber um eine integrale Lebenspraxis, die nicht nur spirituelle Entwicklung, sondern auch die anderen Perspektiven der psychischen, körperlichen, sozialen Entwicklungen im Blick behält.
Für Kirche sieht er eine lose Vernetzung von integralen Inseln, die integrales Leben verwirklichen oder eine integral offene Gemeindepraxis, die plural alle verschiedenen Farb-Spiritualitäten beherbergt und Ihnen Raum zum Wachsen gibt. Dabei ist es wichtig die Übergänge der verschiedenen Wachstumsschritte aus BLAU zu ORANGE und aus ORANGE zu GRÜN und von GRÜN zu GELB gut zu gestalten.
Abschließende kritische Würdigung:
Mit seiner Erlösungsvorstellung konvergiert er zwar deutlich mit auch unserer Ablehnung des augustinisch-christentümlichen Erbsünde-Paradigmas (aber mit anderer Begründung), zugleich konstruiert er nach meinem Eindruck aber ein zu einseitig individualistisches Menschen-Bild, und eine individualistisch fokussierte Transformationsperspektive. Hier müsste sorgfältiger und tief gehender anthropologisch, soziologisch und theologisch gearbeitet werden.
Der Sündenbegriff als Zweiheit kommt als Schlüsselbegriff direkt aus der integralen Szene. Er versucht ihn irgendwie assoziativ mit biblischen Texten zu begründen, was den Texten aber eher nicht gerecht wird. Er gibt selber zu, dass er mit Jesu Aussagen (in seiner ansonsten von ihm sehr positiv konnotierten Bergpredigt) über Gericht, Hölle und den jüdischen Tun-Ergehen-Zusammenhang nicht synchron geht. Vgl. 242-243 Seine etwas hilflose historische Spekulation:
- entweder hat Jesus selbst eine spirituelle Weiterentwicklung erlebt und später die reine Liebe gepredigt
- oder hat nur didaktisch methodisch an die Vorstellungen seiner Zeitgenossen an geknüpft
- oder (so die bultmannsche Literarkritik) die apokalyptischen Aussagen sind ihm literarisch durch die Gemeindetheologie in den Mund gelegt
Die Argumentation folgt insgesamt klar der klassischen liberalen Interpretation der Apokalyptik-Perspektiven seit dem 19. Jh. im neuen Testament. Hier würde die aktuelle exegetischen Diskussion im Anschluss an die Linie von Albert Schweitzer und Perriman als kritisches Gegenüber viel sachgerechtere (weil dem Judentum des 1. Jh. entsprechend) bessere Begründungen liefern, die historisch den Befund im NT wie hier dargestellt konsistenter interpretieren, ohne den Umweg, literarkritischen (unbelegbare) Hypothesen einführen zu müssen..
Redlich ist zwar, dass er diese seine Inkonsistenz erwähnt, aber intellektuell befriedigend lösen kann er sie nicht. Er schließt mit: „Das neue Testament entwickelt keine detaillierte Lehre vom Leben nach dem Tod. Darin unterscheidet es sich von anderen Religionen, etwa dem tibetischen Buddhismus, … es wird gut sein, wie ein fröhliches Fest, sehr viel mehr wird nicht gesagt.“ 244 Damit unterschlägt er die apokalyptischen Texte bei Paulus und in der Offenbarung, die von der wichtigen ersten Auferstehung der Märtyrer zeugen und ihr "Mitregieren" im Himmel erhoffen, was ja eine politische und ihren Tod rechtfertigende Perspektive darstellt.
Fazit:
Das Buch ist sehr anregend für unser Anliegen (aufregend für blaue, orange, grüne Bewußtseinsräume) und arbeitet viele Themen der Abgrenzung zum blauen Paradigma, aber auch orangen und grünen Perspektiven gut auf. Gute Anknüpfungspunkte bietet er für einige unserer Grundaxiome, die weitergehend und vertiefend sein Konzept schärfen oder korrigieren könnten.
Hermeneutik: hier bleibt ein grundlegender tiefer Dissenz zu seinem integralen Anspruch, da der leider ORANGE konsequent ausschließt.
Seine exegetischen Antworten bleiben aber in der Begründungslogik mit der Entscheidung zum Mythos statt zur historisch-narrativen Hermeneutik für mich (und andere suchende Wissenschaftsgläubige) intellektuell unbefriedigend. Ohne Not, denn da geht noch was mit besserer Plausibilitätschance für Rationalisten :-), denn der hier geführte Streit ähnelt dem alten philosophischen Disput zwischen Empiristen (1./3. Quadrant) und Rationalisten (2./4. Quadrant). Nur mit der zusätzlichen Hürde für heutige Rationalisten, dass die vernünftigen Begründungen selbst kontextuell bedingt sind, was den Verlust der Sicherheiten (vgl. Nietzsches „Gott ist tot“) zur Folge hat.
Auf dem Meer der Unsicherheiten samt Verlust der bisher gegebenen großen Erzählungen (vgl. Lyotard) bleibt als einzige die mehrheitlich anerkannte moderne Evolutionserzählung (seit Darwin).
Folgen der freiwilligen Aufgabe einer Gründung in evolutiven rationalen Plausibilitäten unserer Gesellschaft:
Eine politische Theologie beziehungsweise eine Gruppenperspektive in ausgearbeiteten Sinn (Ekklesiologie) kann er kaum entwickeln, da sie in seiner Logik nicht zwingend, sondern nur als Additiv zur allgemein individuellen GELBEN Praxis erscheint.
Ausgleichende Gerechtigkeit gibt es für ihn nur außerweltlich (in seinem neuen „Jenseits“). Damit ist sein Ansatz nicht vor der Versuchung geschützt, die Erde doch mit einem quasi-dualistischen Verständnis zu verlassen ins Paradox des überzeitlichen/überräumlichen „Nirwana“?
Der Rezensent Löhr dazu: Denn »es braucht den Blick der Liebe und das Vertrauen, dass das nicht alles ist, was wir mit unseren physischen Augen erblicken.« Um das nicht als Aufruf zum Eskapismus zu verstehen, betont Haberer die Verantwortung, die unsere Freiheit mit sich bringt. Freiheit und Verantwortung werden immer noch vielfach falsch verstanden, weil sie ausschließlich aus neoliberaler Perspektive betrachtet werden. Für Haberer bedeutet Verantwortung »auf die eigenen Handlungen zu achten und darauf, dass ich mit meinem Handeln niemandem schade.« Würden wir diesen Satz ernst nehmen, müssten wir umgehend damit beginnen, unsere Gesellschaft fundamental umzubauen. Denn unsere Art zu wirtschaften und zu leben schadet nicht nur diesem Planeten, sondern auch anderen Menschen, jetzt und vermehrt auch in Zukunft. Haberer plädiert somit für »ein Christentum und ein christlich geprägtes Denken, das der geistigen Wirklichkeit der Gegenwart nicht mehr nur hinterherhinkt (oder sich ängstlich dagegen abschottet), sondern das Gespräch mit dieser Wirklichkeit aufnimmt und mehr noch: diese weiter- und vorwärtsdenkt.«
Ja, aber seine theologische Konstruktion vermittelt gerade dazu nicht die nötigen, zwingenden Argumentationen (Rationalistisch), sondern überlässt es dem Gewissen des Einzelnen (individualistisch-Empiristisch).
Seine Sündenlehre entwickelt Haberer (übrigens im Einklang mit unserem Versuch!) von der Güte der Welt/Menschen ausgehend - implizit eine Aufgabe des „Sündenfall“-Dogmas. Auch Haberer ist das Ketzerische dieser These bewußt. Er scheint zugleich (mit allen liberal-Orange/grünen Interpretationen) gewiss, dass das Thema faktisch modern geklärt ist (und keinen mehr aufregt). Es erstaunt mich zugleich, warum er das Erb-Sünden-Paradigma dennoch bewahren will, um es aber mythisch-überzeitlich zu reinterpretieren. Ich plädiere dafür, dieses als BLAUES PARADIGMA zu würdigen, aber doch aufzugeben, um bessere Konzepte zu entwickeln, die den modernen gesellschaftspolitischen und sozialpsychologischen Paradigmen (vgl. Im Grunde gut) entsprechend konstruiert sind.
Die Schwächen seines argumentativen Ansatzes haben sicher darin ihren Ursache, dass er argumentativ vorsichtig an traditionellem Christentum anzudocken versucht, um Plausibilität für stark nachklingende Rest-BLAUE Anteile zu erzeugen. Hier arbeiten wir radikaler, weil das Anknüpfungsbedürfnis für BLAU bis GRÜN nicht mehr vorhanden ist, sondern unsere Zielgruppe Menschen mit GELBEM Bewusstseinsraum ist.
Offene Forschungsthemen:
- Inkarnationsvorstellung - wie weit ist diese Figur nötig? Da sie das christentümliche Zentralmotiv der CHRISTOLOGIE zum Maß aller Theologie macht. Sichtbar wird es, wenn die Formel des "kosmischen Christus" immer wieder bemüht wird. Was ändert sich, wenn wir an die Stelle eine konsequent sozial-evolutive Gottesvorstellung setzten? These: Gott ist immer ein Konstrukt einer politischen Gemeinschaft und nur als solches gemeinsam plausibilisierbar und hilfreich.
- Anthropologie des „göttlichen Seelenkerns“: abhängig von der CHRISTOLOGIE/Erlösungslehre wird eine Anthropologie entsprechend gestaltet… Geht es da mit dem religionspsychologischen Ansatz von Julius Kuhl nicht wissenschaftlich konsistenter?
- Panpsychismus: welche Funktion hat dieses Konzept als Begründungshilfe für Anthropologie Welt-/Gottesvorstellungen
- welche Mystik können, müssen wir inkludieren? Es wird keine KOSMISCHER CHRISTUSMYSTIK sein können. Sondern z.B. eher konsistenter eine lokale Naturmystik.
- wenn der Messiaschristus mit der politischen Wende 313 n.Chr. zum Ziel gekommen ist… ist die offene Frage, wie wir nach dem Abdanken der „1000jährigen“ Christentumsphase mit Christus (in welcher Funktion nun?) postimperial weitermachen? Vielleicht reicht uns JHWH und der sendet einen neuen, zeitgemäßen Messias oder (jüdisch verstanden) einen neuen messianischen Prozess? Dann stehen wir mit dem Judentum gemeinsam hoffend und fragend da. Denkbar wäre es nun.