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Eine kritische Durchsicht & Würdigung des komplexen Spiraldynamic-Modells von Ken Wilber & Clare Graves für Gesellschaft und Individuum.

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Gott 9.0 – kritischer Blick auf die Stufenlehre und Theologie

Küstenmacher, Marion / Haberer, Tilman / Küstenmacher, Werner: Gott 9.0. Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 42012 Die drei Autor:innen knüpfen an entwicklungspsychologische Modelle religiöser Weltorientierung an, die sich nach Andreas Ebert bereits auf biblische (1 Kor 13,11, 1 Kor 3, 2, Joh 4, 23f.) und kirchengeschichtliche (Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz) Vorbilder zurückführen lassen, in Deutschland v.a. mit den Namen Piaget, Erikson, Kohlberg, Oser, Gmünder, Fowler, Nipkow und Schweitzer verknüpft sind, und in „Gott 9.0“ v.a. durch die Rezeption der Arbeiten des amerikanischen Psychologen Clare Graves repräsentiert sind, der mit seiner Rede von „Levels“ religiöser Vorstellungen und korrespondierender Bewusstseinsebenen den Vergleich religiöser Entwicklungsstufen mit den „Updates“ von Computerprogrammen und Betriebssystemen, auf den „Gott 9.0“ aufbaut, bereits antizipiert hat.

Graves vertritt die These, so Ebert, „dass sich auch die religiösen Vorstellungen mit jeder Bewusstseinsebene wandeln und dass dieser Wandel einem vorhersagbaren Schema folgt. Diese Ebenen oder Stufen bauen ähnlich aufeinander auf, wie die ‚Updates‘ von Computerprogrammen. Die ‚verbesserte‘ Version enthält alles, was die vorherige Version auch zu leisten vermochte, führt das Programm aber einen Schritt weiter. Das ‚Update‘ kann frühere Versionen noch immer einlesen. Umgekehrt aber kann es geschehen, dass ein veraltetes Programm neue Texte und Eingaben nicht darstellen kann.“[5]

„Herzstück“ von „Gott 9.0“ ist die Einteilung der menschlichen Bewusstseins-, Kultur- und Religionsgeschichte in (bisher) neun Entwicklungsstufen, die die Menschheit in ihrer Geschichte durchlaufen hat, und die jeder Mensch (zumindest teilweise) in seiner individuellen Entwicklung nachvollzieht. Mit dieser Einteilung in neun klar umrissene „Stufen“ der menschlichen Bewusstseinsentwicklung beweisen die Autor:innen einen Hang zur säuberlichen Systematisierung des Geistigen, der in manchem an die durchaus vergleichbare Systematisierung von neun „Persönlichkeitstypen“ in Richard Rohrs und Andreas Eberts früherem religiös-psychologischen „Bestseller“ „Das Enneagramm: Die neun Gesichter der Seele“[6] erinnert. Jede Stufe des Gottesdenkens und des spirituellen Bewusstseins hat ihre „Versionsnummer“ und ihre „Farbe“, so wie im „Enneagramm“ jeder der neun Persönlichkeitstypen nicht nur seine „Nummer“, sondern auch sein „Land“, seine „Flügel“ etc. hat.

Dieses Modell polarisiert zwischen glühenden Anhänger:innen und als christlicher New-Age-Verschnitt bei den Gegner:innen. Wir nehmen die Idee, dieser "spiral dynamics" genannten Entwicklungsstufen als einfach zu vermittelndes Modell auf, sehen aber auch die Schattenseite, dass es zu Missverständnissen und damit schlechtem Gebrauch im Sinne einer modernen Steigerungslogik führen kann.

Ein Tipp: nutze diese Rezension für deinen Überblick

Im online Magazin Theogmag Heft 81 wird nun fair, sachlich und differenziert zu diesem Modell/Buch eine Rezension angeboten, die ich empfehlen kann, um die Inhalte von Gott 9.0 samt fundierter theologischer Kritik schnell kennen zu lernen.

Die Kritik von Stefan Schütze gipfelt in dieser Aussage:

...die von mir in „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert“ rezipierten und diskutierten radikaleren Ansätze einer „nach-“ oder „anatheistischen“ Weise von Glauben, Religion und Divinität „after God“ zu reden (Gordon Kaufman, Catherine Keller, Mark Taylor, Richard Kearney u.a.) auch hier noch völlig übergangen werden....

Am Ende steht Ken Wilbers Unterscheidung der „drei Gesichter Gottes“[24], nach denen Gott zugleich als das überpersonale „Es“ des evolutionären Weltgrundes, das personale „Du“ des theistischen (christlich, jüdisch, islamischen) Schöpfungsglaubens und das absolute „Ich bin“ des „alles umfassenden Göttlichen“[25] der mystischen Verschmelzung angesprochen werden kann. Auch dieses abschließende Modell bemüht sich nochmals um eine integrierende Grundausrichtung, bleibt aber in seiner harmonisierenden Rezeption theistischer Grundaussagen eher vorkritisch und schöpft das Potential heutiger kritischer, moderner und „postmoderner“ transtheistischer religiöser Denkmöglichkeiten m.E. bei weitem nicht aus.

Am Ende bleibt also für mich ein ambivalenter, „durchwachsener“ Gesamteindruck, der aber die positiven und viele Menschen heute tatsächlich religiös und theologisch weiterführenden Aspekte dieses Buches nicht klein reden oder gar in Abrede stellen soll. 

Stefan Schütze (letzter Absatz)

Zur theologischen Kritik möchte ich noch ergänzen, dass die biblische Hermeneutik, auf die sich ja die systematische Theologie für ihre Abstraktionen bezieht, in Gott 9.0 zwar grundsätzlich in der traditionellen historisch-kritischen Lesart verankert ist, aber dann für die spirtuelle Anwendung schnell auf eine metaphorisch-mystische Lesart fokussiert wird. Damit verliert sie aber die geschichtlich-narrative Dimension der jüd.-christlichen Heiligen Schriften aus dem Blick und nutzt Bibel nur als Steinbruch für allgemeine Gotteserfahrungen (was im interreligiösen Dialog wieder nützlich erscheint).

Das spezifische apokalyptische Narrativ von Jesus oder Paulus wie wir es mit A. Perriman herausgearbeitet haben, wird gar nicht angesprochen, nur eben das (im Ursprung) apokalyptisch-politische Motiv des "zornigen Gottes", der Gerechtigkeit sucht, in der "Stufe 4.0, Blau, Kollektiv, Ordnung verortet: Moral, Regeln, Gewissen, hierarchische (sic!) Struktur (oben und unten), Sündenbewusstsein und Ausgrenzung der Sünder, Könige, Beamte, Priester. Der eine und allmächtige Gott, der Richter. Dualistisches Weltbild: ‚drinnen‘ und ‚draußen‘."

So ist eines der theologisch heute dringend benötigten Aspekte einer möglichst kollektiven politischen Theologie für Lösungen in apokalyptischen Krisenzeiten nicht im Blick. Ja, das traditionelle Christentum wird als zu überwindende Phase (Stufe) gekennzeichnet, Gott 9.0 bietet als Lösung aber nur eine Wende in die mystische Innerlichkeit (die sicher im reifen Stadium auch im Sinne von Dorothee Sölle mit einer politischen Widerstandskraft gekoppelt werden kann). Diese Lösung befriedigt mich solange nicht, als die Besonderheit einer widerständigen gemeinschaftlichen Spiritualität einer Märtyrerkirche wie Paulus sie beschreibt als biblische Ressource nicht genutzt werden kann.

Eine Kritik am religionspychologischen Stufenmodell (Level) ließe sich vielleicht so lösen: Besser wäre eine Änderung der Bildrede weg von Stufen (das engl. "Level" lässt sich mit Niveau, Ebene, Stufe übersetzen. Jeder Begriff eröffnen je verschiedene Missverständnisse) oder Entwicklungsschritten zu einem Kreismodel, in dem alle Dimensionen nebeneinander und sich ergänzend dargestellt werden und die 2. Phase als Vertiefung dieses Kreis-Lernprozesses verständlich wird. So würde die naheliegende Versuchung zur Fortschrittslogik vermieden. Sicher ist die Spiralhelix ja gerade eine "Spirale", aber eben eine Aufstiegs-Spirale (wenigstens im Bilde). Eine interessantes Bildversuch ist in Wikipedia zu Spiral Daynamics zu finden:

Mit diesen 2 Korrekturen lässt sich vieles aus Gott 9.0 mit Gewinn nutzen. Die Notwendigkeit, geistliches Wachstum religionsspychologisch-spirituell zu beschreiben, ist ja unbestritten. Und psychologische Entwicklungen implizieren auch Beziehungsveränderungen und Perspektivverschiebungen im Blick auf Gott und mögliche verschiedene Konstruktionen von Gottesbildern.

Genau so wichtig bleibt aber, dass Gott 9.0 nur eine mögliche Theologie darstellt. Wie schon Stefan Schütz anmerkt, gäbe es weitere Varianten der nach-theistischen Gottes-Vorstellungen oder eben auch unser favorisiertes Modell als geschichtstheologisch-evolutionäres apokalyptische Modell (im Sinne von A. Perriman), das YHWH mit seinem Volk innerhalb der politischen Menschheitsgeschichte in verschiedenen Phasen am Werk sieht.

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