Neue Studie: NCD lässt Fundamentalismus schrumpfen

Christian A. Schwarz beschreibt im Newsletter der Natürlichen Gemeindeentwicklung (NCD) wie seine jahrelange Datenerhebung zeigt, dass Fundamentalismus reduziert werden kann durch strategische Gemeindeentwicklung mit Hilfe der Qualitätsentwicklung von Gemeinden in 8 spezifischen Feldern. Oliver Schippers aus dem nuPerspective-Team koordiniert in Deutschland diese Qualitätsbemühungen und berät Gemeinden. Sehen wir nun, wie C.A. Schwarz argumentiert:

„Wer Diskussionen über Fundamentalismus in den Medien verfolgt oder das Thema mit Verteidigern oder Kritikern des Christentums diskutiert, stößt kontinuierlich auf Hypothesen, von denen die meisten Menschen überzeugt sind, dass sie die Realität abbilden:

1. Ob es ausdrücklich so ausgesprochen wird oder nicht, Fundamentalismus scheint als ein Phänomen betrachtet zu werden, das in positivem Zusammenhang mit Gemeindewachstum steht. Selbst diejenigen, die dem Fundamentalismus ablehnend gegenüberstehen (was die überwältigende Mehrheit ist) räumen doch ein, dass fundamentalistische Gemeinden wahrscheinlicher wachsen als nicht-fundamentalistische. Manche Medienberichte erwecken geradezu den Anschein, als gäbe es eine Korrelation zwischen Fundamentalismus und zahlenmäßigem Wachstum: Je fundamentalistischer eine Gemeinde ist, desto wahrscheinlicher wird sie wachsen – und umgekehrt.

2. Es wird als schwierig, wenn nicht gar als unmöglich betrachtet, Fundamentalismus zu „heilen“. In fundamentalistischer Weltsicht wird der Fundamentalismus naturgemäß nicht als Problem gesehen, das einer Therapie bedarf. Da aber Problemeinsicht Vorbedingung jeder Therapie ist – in der Medizin wird der Begriff „Krankheitseinsicht“ verwendet –, lässt sich ohne diese Voraussetzung nur schwer eine heilende Maßnahme einleiten. Deshalb beschränken sich manche wohlmeinenden Christen, die dem Fundamentalismus kritisch gegenüberstehen, darauf, sich von ihm abzugrenzen bzw. vor ihm zu warnen. Sie merken dabei gar nicht, dass sie gerade mit dieser Reaktion in der Gefahr stehen, die fundamentalistische Weltsicht ihrer Gesprächspartner, die tief von binärem Denken und bisweilen auch von einer gewissen Opferrolle geprägt ist, nur noch zu verstärken.

3. Man scheint implizit davon auszugehen, dass es einen Zusammenhang zwischen Fundamentalismus und geistlicher Leidenschaft gebe, was umgekehrt natürlich bedeutet, dass mit nachlassendem Fundamentalismus auch die geistliche Leidenschaft sinkt. Eine Verringerung fundamentalistischer Tendenzen wird insbesondere mit einer verringerten Hingabe an die Bibel und an Evangelisation in Verbindung gebracht („Bei Fundamentalisten lässt sich zwar vieles kritisieren, aber in ihrer Haltung zur Bibel und zum Missionsbefehl sind sie stark“). Nominalismus und Fundamentalismus werden dabei unausgesprochen als die zwei Enden eines Kontinuums betrachtet. Je weiter wir uns von dem einen Ende entfernen, desto näher kommen wir unausweichlich dem anderen Ende. Es erscheint dann geradezu so, als sei nominelles Christentum – oder doch zumindest: leidenschaftsloses Christentum – die ultimative Alternative zum Fundamentalismus.

Aber treffen diese Vermutungen auch zu? Es ist erstaunlich, dass in den meisten Diskussionen über dieses Thema kaum jemand nach belastbaren empirischen Daten fragt. Bloße Gefühle, subjektive Meinungen und nicht weiter verifizierbare „Erfahrungen“ machen diese Form von Diskussionen in aller Regel wenig fruchtbar. Der erkennbare Fortschritt ist gering. So gleichen die heute geführten Debatten in erschreckendem Maße denen, die zehn Jahre zuvor geführt wurden, und ängstlich fragt man sich: Werden es in zehn Jahren immer noch die gleichen Debatten sein?“

Fundamentalismus in empirischer Perspektive

„Da ich in den letzten Monaten im Zusammenhang mit einem Buchprojekt verschiedene Auffassungen zum Fundamentalismus zu untersuchten hatte, entschloss ich mich, die Daten von Gemeinden, die wir in den letzten zwanzig Jahren in der Arbeit an der natürlichen Gemeindeentwicklung (NCD) gesammelt haben, heranzuziehen. Könnten sie möglicherweise dabei helfen, Licht in die Diskussion bringen? Und tatsächlich, nachdem die Forschung vor einigen Tagen abgeschlossen werden konnte, lässt sich sagen: Die empirische Wirklichkeit ist in weiten Teilen das genaue Gegenteil dessen, was die meisten Menschen wohl vermutet hätten.

Wie konnten wir das Thema Fundamentalismus mit Hilfe unserer NCD-Daten angehen? Unsere Datenbasis ist zwar ziemlich groß, repräsentiert sie doch 70.000 Gemeinden aus allen Teilen der Welt, die zumindest ein Gemeindeprofil erhoben haben, und viele haben mehrere Wiederholungsprofile durchgeführt. Das ermöglicht es uns, langfristige Entwicklungen zu verfolgen und auszuwerten. Allerdings wurde das Gemeindeprofil nicht als ein Instrument entwickelt, fundamentalistische Tendenzen zu messen. Könnte es dennoch einen Weg geben, es zu diesem Zweck zu gebrauchen?“

Ergebnisvorschau

„Wenn wir nun den Bibel/Evangelisations-Index mit dem Fundamentalismus-Index vergleichen, lässt sich die Kernaussage im folgenden Satz zusammenfassen: In dem Maße, wie der Fundamentalismus-Index sinkt, steigt der Bibel/Evangelisations-Index (siehe Grafik).“

Das Diagramm zeigt den Fundamentalismus-Index (dunkelblau) und den Bibel/Evangelisations-Index (hellblau) aller untersuchten Gemeinden zur Zeit des ersten NCD-Gemeindeprofils (linker Punkt) und zur Zeit eines Wiederholungsprofils (rechter Punkt). Während sich der Fundamentalismus-Index um 6,8 Punkte verringerte, stieg im gleichen Zeitfenster der Bibel/Evangelisations-Index um 4,6 Punkte.

Fundamentalismus darf nicht als das Gegenteil von „leidenschaftlich“ verstanden werden. Es handelt sich vielmehr um zwei unterschiedliche Skalen, die hier als x- und y-Achse dargestellt werden. Leidenschaftliche Formen nicht-fundamentalistischer Frömmigkeit, wie sie als Frucht des NCD-Prozesses studiert werden können (Quadrant A), dürfen nicht mit nicht-fundamentalistischen Erscheinungsformen verwechselt werden, die vom Nominalismus geprägt sind (Quadrant C). Studien, die diese Unterscheidung nicht machen, führen notwendigerweise zu irreführenden und z.T. kontraproduktiven Schlussfolgerungen.

„Die Trennlinie (die es als „Linie“ gar nicht gibt) verläuft dann nicht mehr zwischen verschiedenen Gruppen bzw. Individuen, sondern mitten durch jeden Christen und jede Christin hindurch, in denen fundamentalistische und nicht-fundamentalistische Tendenzen miteinander im Streit liegen. Der Fundamentalismus-Index – wenn wir ihn der Anschaulichkeit halber in einer Skala von 0 bis 100 ausdrücken wollten – liegt niemals bei 0 und niemals bei 100, sondern immer irgendwo dazwischen. Und er kann im Laufe der Zeit wachsen oder schrumpfen. Für mich als Autor dieser Zeilen ist es äußerst relevant zu wissen, dass ich keine Ausnahme zu dieser Regel bin. Wenn ich mich mit Fundamentalismus beschäftige, dann habe ich nicht mit Menschen in einem „anderen Camp“ zu tun, sondern ich beschäftige mich mit Realitäten in mir selbst. Dieses dynamische Verständnis von Fundamentalismus ermöglicht uns, nicht mehr von „dem Fundamentalismus“ oder „den Fundamentalisten“ zu reden, sondern von stärker oder weniger stark ausgeprägten „fundamentalistischen Tendenzen“, die sich zudem recht genau messen lassen.“

„Diese Einsicht ist gleichzeitig die Grundlage für die möglicherweise konstruktivste Weise, mit fundamentalistischen Tendenzen umzugehen. Die besteht vermutlich nicht in einer öffentlichen Anti-Fundamentalismus-Demonstration, in der wir ein lautstarkes Bekenntnis gegen den Fundamentalismus unterschiedlichster Couleur ablegen – und dabei vielleicht noch nicht einmal bemerken, wie sehr diese Denkweise verrät, dass wir selber Gefangene eines fundamentalistischen Denkmusters sind. Die wirksamste Art, Fundamentalismus zu begegnen, scheint im Lichte unserer Forschung die unspektakuläre Arbeit an unseren eigenen persönlichen und gemeindlichen Problembereichen („Minimumfaktoren“) zu sein.“

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